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Possenröder Kreuz
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Im Halbdunkel steht ein unscheinbares Kreuz aus Kalkstein an der Stelle, wo ein Waldweg den Rennsteig quert. Das nicht ganz ausgearbeitete Malteserkreuz mit der senkrechten Inschrift POSSENROD scheint wie das Steinkreuz „Wilde Sau“ als Sühne für eine Bluttat errichtet worden zu sein, so ist die landläufige Meinung. Tatsache ist, dass man eigentlich gar nichts darüber weiß – es gibt allenfalls Theorien. Darüber gleich mehr. Wir befinden uns an einem Ort, der näher betrachtet sein will.
Die Hohe Straße
Als noch alle Güter mit Pferdefuhrwerken transportiert werden mussten, was noch nicht lange her ist, sahen die Straßen nicht nur anders aus. Sie benutzten auch andere Trassen, vor allem im Gebirge. So führte eine Hauptverbindung zwischen den großen Handelsplätzen Erfurt und Frankfurt am Main als so genannte „Hohe Straße“ über Friedrichroda hierher zum Pass „Am Kreuz“ und weiter nach Schmalkalden. Sie wurde auch „Roter Weg“ genannt oder „Weinstraße“, was aber nichts mit Wein zu tun hatte: Es bedeutete in der Mundart lediglich „Wagenstraße“ und war ein Sammelbegriff. Eine Weinstraße kreuzt auch am Pass Hohe Sonne bei Eisenach den Rennsteig.
Weil die Landstraßen damals noch nicht befestigt waren (das gab’s nach den alten Römern erst wieder in der Napoleonzeit), waren Zustand und Befahrbarkeit mal mehr, mal weniger schlecht. Oft mussten besonders üble Teilstrecken umgangen werden. Aus diesem Grund liegen am Rennsteig, der ja die geografische Verbindungslinie zwischen den Passübergängen des Thüringer Waldes darstellt, die „Ausspannen“ dicht bei einander: Im Tal mieteten die Fuhrleute zusätzliche Pferde als Vorspann, um mit ihrer Hilfe die Steigung bis zur Passhöhe überwinden zu können – ein willkommener Nebenverdienst für Waldbauern. Oben angekommen, wurden die Gäule „ausgespannt“ und zurückgegeben.
Im Laufe der Jahrhunderte verlagerten sich die Verkehrsströme, manche Straßen verloren an Bedeutung und andere gewannen hinzu. Faktoren wie der Niedergang Erfurts als wichtigster Messeort Mitteldeutschlands gegen Ende des Mittelalters und der Aufstieg Leipzigs trugen dazu bei, aber auch Kriege und die wechselnde Politik der Landesherren. Durch den Bau befestigter Landstraßen in der Nähe sanken die meisten Rennsteigübergänge endgültig zu Waldwegen herab, so wie hier.
Die Legende vom erschlagenen Postillion
Fragt man das Possenröder Kreuz nach der Zeit und dem Grund seiner Errichtung, bleibt es vollkommen stumm. Nicht mal einen Fingerzeig gibt es von sich, auch der senkrecht geneigte Schriftzug POSSENROD erklärt nicht viel. Die berühmte Rennsteigforscherin Luise Gerbing (1855 – 1927) meinte gar, stattdessen PISSENROD lesen zu können.
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Possenröder Kreuz
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Dreiforstenstein
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Forststein "Münchengehren"
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Fest steht lediglich, dass in einer aus dem Jahre 1039 datierenden Urkunde aus dem nahe gelegenen Reinhardsbrunn ein Ort namens Bussonrot erwähnt wird. Die Urkunde war zwar eine Fälschung, aber dass es die in ihr genannten Orte gegeben haben dürfte, ist unstreitig. Noch einmal findet man 1497 den Namen als Bossinrode und zum letzten Mal 1616 als Vorwerk Bosserode erwähnt, die unterschiedlichen Schreibweisen lassen sich durch die Mundart erklären. Das Possenröder Kreuz steht nicht weit vom so genannten Freiwald, in dem einst 7 Gemeinden Holzrechte hatten; so könnte nach Ansicht des Rennsteigforschers und Gründers des Rennsteigvereins Ludwig Hertel (1859 – 1910) die Inschrift POSSENROD der Hinweis auf ein Waldstück sein, das der gleichnamigen Ortschaft gehörte. Aber warum ein aufwändiges Steinkreuz als Markierung?
Der Volksmund war bei rätselhaften Erscheinungen um Erklärungen niemals verlegen, am liebsten wurden Schauergeschichten gesponnen. So wie sich das Steinkreuz Wilde Sau am Rennsteig bei Eisenach durch sein Relief als Mahnmal für einen unnatürlichen Todesfall ausweist, bildete sich hier eine entsprechende Legende, indem man den Namen verformte:
Bereits 1610, im Waldbüchlein des Schmalkalder Forstmeisters Kurt Stübing, lautet er „Postenröder Creutz“, auf der Geleitskarte von 1633 schon „Poströder Kreuz“; in der Tenneberger Amtsbeschreibung von 1643 ist er bereits in Postreuter Kreutz verballhornt, so dass (nach Luise Gerbing) vielleicht schon damals die Sage umging, die nach zweihundert Jahren 1836 Dr. H. L. Völker in seinem Reiseführer „Das Thüringer Waldgebirge“ (S. 172) nachzuerzählen weiß, dass an dieser Stelle einst ein Postillon getötet sei.
Die Erklärungstafel gleich neben dem Kreuz gibt diese haarsträubende Legende unkommentiert wieder. Sie weist jedoch auch hin auf die Bemühungen von Heimatfreunden aus Kleinschmalkalden und Finsterbergen, die 1975 das beschädigte Kreuz restaurierten.
Die trutzigen Mönche von Reinhardsbrunn
Weil es sich bei der Postreiter-Legende offensichtlich um Schmonzes handelt, wagte Johannes Bühring (1858 – 1937), Freund und Mitstreiter Hertels und sein Nachfolger als Fürsteher des Rennsteigvereins, in seinem Buch „Des Rennsteigs steinerne Chronik“ (1929) einen neuen, seriösen Erklärungsversuch.
Anknüpfend an die obigen Überlegungen Hertels macht er den wenige Schritte vom Possenröder Kreuz entfernten „Dreiforstenstein“ und weitere Forstgrenzsteine zur Grundlage seiner Argumentation:
Der dreikantige Dreiforstenstein trägt auf seinen drei Seiten die Inschriften „Finsterberger Forst, Münchengirn/ Georgenthaler Forst, Langenberg/ Kl. Schmalkalder Forst, Hirschpaltz 1847“, er markiert die südwestliche Ecke des Waldbezirks „Münchengirn“ oder „Münchengehren“, wie noch deutlicher auf einem benachbarten Grenzstein zu lesen ist. (Der Verf. bittet um Nachsicht, weil kein geeignetes Foto der entsprechenden Seite des Dreiforstensteines bereitlag; der Schriftzug auf dem Forststein „Münchengehren“ ist mit Schnee abgerieben, um ihn hervorzuheben.)
Das Possenröder Kreuz steht also unmittelbar an der Südwestecke des Münchengirns, d.h. Möchszwickels, der sich keilartig zwischen Freiwald (Langeberg) und Amt Tenneberg (Spießberg) einschiebt und mit zu den ersten Gütern des Klosters Reinhardsbrunn gehörte. Durch die Jahrhunderte lange Zugehörigkeit des Waldstücks zum Kloster trat der Name Münchengirn – seit 1357 zuerst nachweisbar – an Stelle des älteren Abbichonrod (1039 in der bekannten, hinsichtlich der Namensformen aber immerhin zuverlässigen Reinhardsbrunner Fälschung), Abschirot (1216) und Apichinrod (nach 1227). Möglich, dass es sich dabei um bewusste Umbenennung seitens der Reinhardsbrunner Mönche handelt.
Hinzu kommt, dass auch für die Gegend des Possenröder Kreuzes die alte Bezeichnung 1144 „beim Ahornbaum“ (ad arborem Ahorn) und 1270 noch Ahornstock heißt, dass Bussenrot bereits 1144 von Graf Ludwig dem Jüngeren, unter anderen bei und innerhalb der Loiba gelegenen Gütern, an Reinhardsbrunn verkauft wird, das 1306 auch für sich und die ihm gehörigen Dörfer (darunter auch Bussenrot) die Befreiung von aller landgräflichen Jurisdiktion und richterlichen Gewalt erlangt.
So ist Bührings Schlussfolgerung wohl nicht zu kühn, dass die Benediktiner von Reinhardsbrunn, durch das jüngere Zisterzienserkloster Georgenthal aus dem noch 1227 ihnen von Landgraf Ludwig dem Heiligen zuerkannten Herrschaftsrecht über den Freiwald endgültig verdrängt, durch Errichtung des Kreuzes mit der Inschrift POSSENROD vor den Toren des Freiwaldes den Georgenthalern und aller Welt sinnfällig zeigen wollten: Wir sind mit Münchengirn- und Bossenrod-Waldgerechtsamen auch noch da!
Ullrich Göbel
Quellen:
- Ludwig Hertel / Johannes Bühring, Der Rennsteig des Thüringer Waldes, 3. Auflage, Verlag des Rennsteigvereins, Zeitz 1930
- Johannes Bühring, Des Rennsteigs steinerne Chronik, Verlag des Rennsteigvereins, Zeitz 1929
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