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"Der" Rennsteig
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Reportage "Duell der Mittelgebirge" / SUPERillu, 22/2020, Seite 20-25
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Der nachfolgende Text stammt von unserem Vereinsmitglied Prof. Dr. Volker Wahl, Leiter des Thüringischen Hauptstaatsarchives Weimar. Das Urheberrecht verbleibt vollständig beim Verfasser.
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Der Rennsteig des Thüringer Waldes - Ein historischer Überblick
Der Rennsteig des Thüringer Waldes ist der traditionsreichste Fernwanderweg in Deutschlands Mitte. Mit einer Gesamtlänge von 168 Kilometern ist er in seiner landschaftlichen Einmaligkeit eine der bemerkenswertesten Erscheinungen des Thüringer Landes. Er ist ein historisches und Naturdenkmal und ein Stück Kulturgeschichte dieser Landschaft. In der Neuzeit kennt man ihn als Höhenweg in Thüringen mit einer west-östlichen Ausdehnung über das Thüringische Schiefergebirge hinweg bis nach Oberfranken. Die Bundesländer Thüringen und Bayern zählen ihn zu ihren touristischen Attraktionen.
Thüringer Wald und Schiefergebirge fügen sich mit dem Frankenwald zu der waldreichen Mittelgebirgslandschaft im Herzen Deutschlands zusammen, über deren Gebirgskamm der Rennsteig vom Mittellauf der Werra bis zum Oberlauf der Saale zieht. Als Höhenweg folgt er der Längsachse des Thüringer Gebirges und bildet somit die Wasserscheide. Im westlichen Teil, etwa bis zum Spießberg (bei Friedrichroda), scheidet er zwischen Werra und Hörsel, die jedoch beide zum Stromgebiet der Weser gehören, dann zwischen Werra (Weser) und Elbe bis zum Dreistromstein bei Siegmundsburg und weiter in östlicher Richtung zwischen dem Rhein/Main- und dem Elbstromgebiet.
Der Rennsteigwanderer erschließt sich aber nicht nur die Natur, dringt in die geographischen und hydrographischen Verhältnisse des Kammgebietes ein, sondern begegnet auch an vielen Stellen seiner Wanderung der Geschichte dieser Landschaft und ihres alten Höhenweges. Die Bedeutung des Rennsteigs und seine historische Entwicklung gewinnen sein Interesse. Flur- und Forstorte mit ihren überlieferten alten Namen, Grenzsteine mit den Hoheitszeichen vergangener Territorialmächte, geschichtliche Schauplätze und bauliche Denkmale aus der Vergangenheit treten ihm entgegen.
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Zur Geschichte des Rennsteigs
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Die Geschichte des heutigen Rennsteigs reicht bis vor die erste Jahrtausendwende zurück. Urkundlich wird er zum ersten Mal im Jahre 1330 im nordwestlichen Thüringer Wald genannt. In der am 10. August 1330 in Schmalkalden ausgefertigten Urkunde über den Verkauf des "Frankensteiner Wildbannes" tritt uns unter den dort angegebenen Grenzpunkten zweimal der "Rynnestig" entgegen.
Diese ältesten Einzelstücke des Rennsteigs erstrecken sich etwa vom „Ruhlaer Häuschen“ über den Inselsberg zum Großen Jagdberg sowie vom Dreiherrenstein am Hangweg (vor der Ebertswiese) über die Ebertswiese bis zum Gipfel des Nesselberges. In diesem Bereich des Thüringer Waldgebirges im Ruhla-Schmalkalder Raum haben wir somit die ältesten schriftlichen Belege für die Existenz des Rennsteigs. Wir können ihn hier sogar - wenn auch nicht seinem Namen nach - noch weiter zurückverfolgen. Als Fahrweg und als Grenzlinie kann er in den frühen Grenzbeschreibungen im nordwestlichen Thüringer Wald nachgewiesen werden, die bis ins 10. Jahrhundert zurückreichen und für die der Kamm des Gebirges den Abschluss nach Norden bildete.
Das Ursprungsgebiet des Rennsteigs ist also das Hauptmassiv des Thüringer Waldes, in dem sein Bestehen schon vor der ersten Jahrtausendwende angenommen werden kann, während der Name erst später aufkam.
In diesem Abschnitt des Gebirges gab es im Hochmittelalter eine beträchtliche Anzahl von Straßen, die vom Maintal her den Thüringer Wald überschritten. In seinen ältesten Belegen ist der Rennsteig seiner Funktion nach sowohl Grenze als auch Straße, wenn zunächst auch nur als Verbindungsweg zwischen den Passübergängen. Die Grenzfunktion des Rennsteigs wurde später zeitweise dominierend, nachdem im 12. Jahrhundert das Bedürfnis nach festen Grenzen zwischen den im Ausbau befindlichen Territorialstaaten aufkam und der Fernverkehr sich in den folgenden Jahrhunderten weg von den Höhenwegen in die inzwischen ausgebauten Täler verlagerte.
Die von der Natur bestimmte Scheidelinie der Landschaft auf der Höhe des Gebirges wurde bei der Eingliederung des Landes in den fränkischen Feudalstaat und in der späteren territorialstaatlichen Entwicklung in Thüringen bestimmend für die Entstehung von politischen und Rechtsgrenzen im Bereich des Thüringer Waldes und des Frankenwaldes. Da die Kammlinie des Gebirges als Wasserscheide im Süden Thüringens die natürliche Grenze gegen Franken bildete, musste der Rennsteig schon allein deshalb Grenzlinie sein. War damit schon das nördliche und südliche Vorland des Thüringer Waldes ethnisch und überwiegend auch sprachlich differenziert, folgten später kirchliche und territorialpolitische Grenzen ebenfalls der Grenzlinie auf dem Gebirgskamm.
Grenz- und Jagdstreitigkeiten zwischen den fürstlichen Territorialmächten, aber auch die Auseinandersetzung über die Abgrenzung von Hoheitsgebieten sonstiger adliger und auch kirchlicher Herrschaften waren seit dem 15. Jahrhundert Anlass zu zahlreichen Rennsteigerwähnungen. Durch solche Beurkundungen wurde der Rennsteig etwa 100 Jahre nach seiner Ersterwähnung bereits deutlich östlicher im mittleren Thüringer Wald genannt und rückte im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts bis zum Großen Dreiherrenstein bei Allzunah vor.
Über ihn hinaus reichte er zu dieser Zeit mit dieser Bezeichnung nur bis in die Gegend von Neustadt. In östlicher Richtung finden wir statt seines Namens für den sich hier fortsetzenden Grenzzug zwischen Sachsen und Schwarzburg die Bezeichnung „Scheideweg“, die sich eng an den Begriff der Mark- oder Grenzscheidung anlehnt. Erst seit dem 17. Jahrhundert wurde für diesen Abschnitt der Kammlinie von Neustadt bis zum Dreiherrenstein auf dem Hohen Lach (vor dem Bahnhof Ernstthal) der Name Rennsteig verwendet.
So wurde der Rennsteig im ausgehenden Mittelalter Stück für Stück auf die sich jeweils anschließenden Fortsetzungen der Kammlinie des Thüringer Waldes und des Frankenwaldes übertragen und wuchs schließlich aus vielen Einzelstücken allmählich zusammen. Der Zeitpunkt, von dem an eine durchgängige Verkehrsbedeutung vorliegt, läßt sich allerdings nicht fixieren.
Dass die Vorstellung vom einheitlichen Verlauf des Rennsteigs als eines alten Höhenweges aus dem Hessischen über den Kamm des Thüringer Waldes und des Frankenwaldes bis nach Böhmen auch schon vor dem Dreißigjährigen Krieg existierte, bezeugt ein 1597 niedergeschriebener schwarzburgischer Rennsteigbericht, der im Zusammenhang mit Streitigkeiten um Landeshoheits- und Geleitsrechte zwischen den Grafen von Schwarzburg und den ernestinischen Herzögen von Sachsen entstand. In ihm ist ein deutlicher Hinweis auf die Geheimhaltung des Kammweges zu finden.
Ein halbes Jahrhundert nach diesen Auseinandersetzungen wurden die Bemühungen Herzogs Ernst des Frommen von Sachsen-Gotha Grundlage für die planmäßige Feststellung und Kartierung des alten Höhenweges und somit der Beginn einer systematischen Rennsteigerkundung. Ausgangspunkt dafür war seine im Dreißigjährigen Krieg gewachsene Erkenntnis von der militärischen Bedeutung des Rennsteigs, die in der Möglichkeit der schnellen und gedeckten Fortbewegung über die Höhen und durch die Wälder des Thüringer Gebirges begründet war.
Mit Unterstützung der benachbarten Landesherren ließ er zwischen 1649 und 1667 von seinen Beauftragten den Rennsteig bereiten und erkunden, wobei Beschreibungen des Rennsteigverlaufs und dazugehörige Abrisse der Rennsteiglinie von der Werra bis an den Böhmerwald entstanden. Seit den Erkundungen der Gothaer Forstbeamten erstreckte sich der Rennsteig des Thüringer Waldes von der Werra bis zur Saale, war aber sowohl am Anfang als auch am Ende nicht mit dem heutigen Rennsteigverlauf identisch.
Auf diese Ergebnisse stützte sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts der hennebergische Historiograph Christian Juncker, der in seinem ungedruckt gebliebenen Geschichtswerk "Ehre der gefürsteten Grafschaft Henneberg" 1703 die erste ausführliche Gesamtbeschreibung des Rennsteigs vornahm. Durch seine fleißigen und bahnbrechenden Untersuchungen über den Kammweg hat er die Forschung nachdrücklich und erfolgreich auf die Rennsteigproblematik hingewiesen.
Nach den Rennsteigerkundungen des Gothaer Herzogs und Christian Junckers Rennsteigbeschreibung haben wir eine größere zeitliche Lücke in der Rennsteigerschließung. 1732 schilderte ihn jedoch das in Leipzig herausgegebene „Allgemeine Historische Lexikon“ als einen „berühmten Weg durch den ganzen Thüringerwald bis an den Böhmischen Wald“.
Als schließlich am Ende des 18. Jahrhunderts Herzog Carl August von Sachsen-Weimar und Eisenach die Frage klären wollte, ob der Kamm des Gebirges als Demarkationslinie zwischen dem nördlichen und dem südlichen Deutschland eines besonderen Schutzes bedürfe, fand er 1796 bei einer Besichtigung des Thüringer Waldes oft Leute, welche den allgemeinen Namen des Kammweges nicht kannten und unter der Benennung Rennsteig den Weg nicht anzugeben vermochten. Erst das Werk von Karl Ernst von Hoff und Wilhelm Jacobs „Der Thüringer Wald, insbesondere für Reisende geschildert“ (1807/12) machte den Namen Rennsteig wieder populär. Zum vollen Durchbruch verhalf ihm dann die um 1830 einsetzende Rennsteigtouristik und ihre in der Folgezeit entstandene Literatur. Seitdem setzte sich die Bezeichnung auch auf den Landkarten durch.
Die neuzeitliche Rennsteigroute von Hörschel nach Blankenstein wurde 1830 von dem gothaischen Offizier Julius von Plänckner in seinem topographischen Werk „Der Thüringer Wald“ bestimmt, der für die Bewältigung dieser Strecke ein Längenmaß von 43,5 Stunden angab und dafür fünf Tagesmärschen vorschlug.
Allerdings legte er sowohl das West- als auch das Ostende an zwei markanten Flußmündungen willkürlich fest. So sind also der Verlauf des heutigen Rennsteigs vom Ruhlaer Häuschen bis nach Hörschel an der Werra im Westen und das Ostende im Reußischen Oberland bis Blankenstein an der Saale historisch nicht belegt. Trotz ihrer wissenschaftlichen Anfechtbarkeit in der Anfangs- und Endstrecke hat sich diese Route in der Praxis durchgesetzt und wurde schließlich auch von dem 1896 gegründeten Rennsteigverein akzeptiert. Die 168 km der Gesamtstrecke wurden dabei in sechs Tagesmärsche von durchschnittlich 25 bis 30 km Länge eingeteilt.
Zur Popularisierung des Rennsteigs trugen in den Jahrzehnten der Romantik und Spätromantik des 19. Jahrhunderts zahlreiche Monographien bei, die jedoch noch nicht auf festen wissenschaftlichen Grundlagen standen und die historischen Quellen noch ungenügend auswerteten.
Ludwig Storch (1841), Ludwig Bechstein (1847) und Alexander Ziegler (1862) sind die Verfasser der bekanntesten Abhandlungen über den Thüringer Wald und den Rennsteig aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Monographien von August Trinius (1889) und Alfred Roßner (1892), ebenfalls nach Rennsteigwanderungen entstanden, verhalfen mehr als ein halbes Jahrhundert nach Plänckner der Rennsteigtouristik endgültig zum Durchbruch.
Dieser Aufgabe nahm sich nun des von Ludwig Hertel 1892 angeregte und 1896 im bayerischen Forsthaus Weidmannsheil bei Ludwigstadt gegründete Rennsteigvereins an. Er wollte aber nicht nur ein Wanderverein sein, sondern förderte auch die Erforschung des Rennsteigs und seiner Geschichte.
Zu den bedeutendsten Leistungen gehören der „Rennsteigführer“ von Johannes Bühring und Ludwig Hertel (1896, 3. Auflage 1930), eine fünfteilige Karte des Rennsteigs (1915) und zahlreiche Untersuchungen zur Geschichte des Rennsteigs in der Vereinszeitschrift „Das Mareile“ (1897 bis 1944, erscheint erneut seit 1994).
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Die Rennsteigforschung und ihre Ergebnisse
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Dem Rennsteig ist in den verschiedensten Zeiten und von verschiedenen Seiten Aufmerksamkeit gewidmet worden, so dass man seine Entdeckung oder Wiederentdeckung schwerlich einem Einzelnen zuschreiben kann.
Die Rennsteigforschung existiert bereits mehrere hundert Jahre. Frühformen stellen schon die archivalischen Nachforschungen und Befragungen des hennebergischen Kanzlers Jacob Genslin zu den Grenzverhältnissen im Thüringer Wald und zum Rennsteig im Jahr 1503 dar.
Nach den ersten Ansätzen von Christian Juncker und seiner heute überwundenen Grenzwegtheorie begann 1885 mit einem Vortrag des Jenaer Geographen Fritz Regel über die Rennsteigfrage und die Entwicklung der Verkehrswege in Thüringen die Zeit der kritischen Rennsteigforschung. Ihre bekanntesten Vertreter waren bis zur Mitte der dreißiger Jahre Ludwig Hertel, Johannes Bühring, Paul Mitzschke, Ernst Koch, Heinrich Heß, Luise Gerbing, August Freysoldt, Max Kroebel und Felix Hering.
Zunächst musste die erstaunliche Tatsache zur Kenntnis genommen werden, dass es neben dem Rennsteig des Thüringer Waldes im gesamten deutschen Sprachgebiet mehr als 220 Rennsteige und Rennwege gab, die teilweise älter, zum Teil jünger waren. Damit wurde deutlich, dass es im Grunde kein Eigenname, sondern ein Gattungsname war.
Schon sehr früh waren sie auch außerhalb des Thüringer Waldes bezeugt, ein althochdeutscher „Renniweg“ bereits im 9. Jahrhundert in der Markbeschreibung von Salmünster (Hessen). Außer dem Rennsteig des Thüringer Waldes und seinen Verzweigungen werden für Thüringen noch 15 kleinere Rennsteige nachgewiesen.
Der Kammweg des Thüringer Waldes, des Schiefergebirges und des sich anschließenden Frankenwaldes wird durchgängig Rennsteig genannt, von den Einheimischen wird aber auch die mundartliche Form Rennstieg verwendet. Dagegen ist der Zusatz Neuhaus „am Rennweg“ eine postalische Zweckbildung zur Unterscheidung von weiteren gleichnamigen Postorten aus den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts.
Eine gründliche etymologische Untersuchung nahm bereits 1893 Ludwig Hertel vor, der den Rennsteig als einen „Gebirgspfad für hin- und hersprengende Reiterboten“ erklärte. Auch die heutige Sprachgeschichtsforschung findet im wesentlichen keine andere wissenschaftliche Erklärung für den Namen des Rennsteigs.
Das urkundliche „Rynnestig“ von 1330 geht auf germanische Sprachwurzeln zurück und setzt sich aus „rinnen“, im Mittelalter mit der Bedeutung „sich schnell bewegen“, davon abgeleitet „rennen“ = „zum raschen Lauf veranlassen“, und „stig“ = „ansteigender Pfad“ zusammen.
Rennsteige waren demnach Wege zur raschen Fortbewegung, im Gegensatz zu den fahrbaren Heerstraßen schmale Lauf- oder Reitwege, auf denen man Boten oder Reiterscharen nach einem rasch zu erstrebenden Ziel sandte. Der Rennsteig des Thüringer Waldes ist somit als ein Höhenunterschiede überwindender Bergpfad zu erklären, auf dem man sich schnell vorwärtsbewegen konnte. Im Zusammenhang mit den älteren Verkehrsverhältnissen in Thüringen ist daher seine ursprüngliche Funktion vor allem im Gegensatz zu den großen Fernverkehrsstraßen, den Hohen oder auch Weinstraßen (= Wagenstraßen), zu sehen.
Da die Bezeichnung Rennsteig in den überlieferten Grenzbeschreibungen aus seinem Ursprungsgebiet im 12. und 13. Jahrhundert noch fehlt, kann angenommen werden, dass sie nicht lange vor 1300 aufgekommen sein muss. Sie wurde um diese Zeit auf jenes älteste Teilstück des Kammweges im nordwestlichen Thüringer Wald, dessen Existenz bis ins 10. Jahrhundert zurückverfolgt werden kann, übertragen.
Für den gesamten thüringischen Rennsteig von der Werra bis zur Saale muss jedoch eine einheitliche Entstehung und damit ein einziger Entstehungsgrund ausgeschlossen werden.
Im nordwestlichen Thüringer Wald, wo er 1330 zum ersten Mal unter dieser Benennung erscheint, sind seine ursprüngliche Funktion und die Bedeutungserklärung des Namens identisch. Noch in den archivalischen Quellen des 16. und 17. Jahrhunderts wird er immer wieder als ein geheimzuhaltender Weg bezeichnet, auf dem man rasch vorwärts kommen kann.
Eine ursprüngliche Funktion als Handels- oder Fernverkehrsstraße fällt bis in die Suhler Gegend schon aus geographischen Gründen aus. Die später offenkundige Grenzfunktion des Kammweges kommt für das Frühmittelalter, in das der Gebirgspfad in seinem ältesten Erwähnungsgebiet zurückreicht, nicht in Betracht, weil damals die Grenzen noch nicht durch Trennungslinien bestimmt und Grenzsäume (Marken) üblich waren.
Dagegen sind Ursprung und Bedeutung des Rennsteigs im südöstlichen Thüringer Wald und dem angrenzenden Frankenwald anders zu erklären. Der Rennsteig hat seine Funktion aus dem Ursprungsgebiet zwischen Gerberstein und Nesselberg immer weiter südostwärts bis in das Gebiet des Großen Dreiherrensteins und in die Gegend von Neustadt ausgedehnt.
Auf den sich anschließenden Abschnitt, wo bereits im Mittelalter ein größerer Verkehrs-, ja Handelsweg existierte, auf dem man von Thüringen und Franken schnell ins Vogtland und weiter nach Böhmen gelangen konnte, wurde die Bezeichnung Rennsteig erst später übertragen, wahrscheinlich erst im zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts. Die Bedeutungserklärung des Namens stimmt auf dieser Strecke des Rennsteigs nicht mit der ursprünglichen Funktion überein.
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Die steinerne Chronik des Rennsteigs
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Dass der Rennsteig auch auf großen Strecken Gebietsgrenzlinie war und somit eine Doppelfunktion angenommen hatte, ist ein Ergebnis der territorialpolitischen Entwicklung in Thüringen.
Zeugen dieser Tatsache dynastischer Zerrissenheit der Thüringer Landschaft bis in das 20. Jahrhundert sind auch heute noch die zahlreichen Grenzsteine längs des Kammweges. Grenze war der Rennsteig aber nicht in seiner gesamten Ausdehnung, sondern nur auf einzelnen Teilabschnitten.
Auch ist es nicht richtig, davon zu sprechen, dass die Grenzsteine den Verlauf des Rennsteigs markierten. Die seit dem 16. Jahrhundert aufkommenden Grenzmarkierungen durch Steine mit den Hoheitszeichen der Landesherrschaften wurden auch außerhalb der längs des Rennsteigs verlaufenden Grenzstrecken vorgenommen. Für die Grenzsteine am Rennsteig hat man später in vereinfachender Weise die Bezeichnung Rennsteigsteine verwendet.
Diese werden auf den einzelnen Teilstrecken zumeist von den sogenannten Dreiherrensteinen begrenzt, jenen Grenzpunkten, an denen die Territorien dreier Landesherren zusammenstießen. Zeitweilig kannte man sogar Vierherrensteine. Zwischen den Endpunkten des Rennsteigs wurden insgesamt 13 Dreiherrensteine ermittelt. Diese - wie überhaupt alle Grenzsteine - sind nicht nur historische Sachzeugen, sondern auch kunstgeschichtlich beachtenswerte Denkmäler.
Beeindruckend ist die Zahl der alten Grenzsteine entlang des Rennsteigs, von denen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch mehr als 1300 gezählt wurden. Die ältesten von ihnen stammen aus dem 16. Jahrhundert, die jüngsten wurden im 19. Jahrhundert gesetzt, einige wenige sogar noch nach der Jahrhundertwende.
Bereits 1548 wurden an der sächsisch-schwarzburgischen Grenze zwischen Großem Dreiherrenstein und Ernstthal Steine mit den eingehauenen Hoheitszeichen der benachbarten Landesherren verwendet, von denen sich jedoch keiner erhalten hat. Grenzsteine von 1572 sind heute die ältesten, die man am Rennsteig finden kann. Allein der sogenannte Kurfürstenstein bei Brennersgrün an der ehemals sächsisch-bambergischen Grenze von 1513 ist noch älter. Die Mehrzahl der noch vorhandenen Rennsteigsteine stammt allerdings aus dem 18. Jahrhundert.
Im östlichen Rennsteiggebiet beeindrucken vor allem die Wappensteine, die den sächsischen Rautenkranz und die schwarzburgische Gabel, das Zeichen für das Bergwerkregal, in beachtlicher Vielfalt der Formen zeigen. Wegen der künstlerisch ausgeführten Wappensteine an der alten sächsisch-bambergischen Grenze heißt dieser Grenzabschnitt am Rennsteig „Schönwappenweg“. Von der Oberhofer Gegend bis in die Nähe des Gerbersteins kennzeichnen die Initialen der jeweiligen Landesherrschaften das Hoheitsgebiet.
Außerdem enthalten alle Grenzsteine die Jahreszahlen der Steinsetzung und eine fortlaufende Nummerierung innerhalb eines Grenzabschnittes, in dem die Steine nach ihrem Alter in bunter Reihenfolge wechseln, wobei sich außerdem oft Lücken in der Überlieferung zeigen. Neben den Hoheitssteinen zur Abgrenzung politischer Territorien kommen im Verlauf des Rennsteigs auch hin und wieder Forststeine sowie einige Steinkreuze und andere Gedenksteine vor.
Seit den achtziger und neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts kennzeichnen neben den Rennsteiggrenzsteinen die weißen R an den Bäumen den alten Kammweg des Thüringer Waldes. Eingeführt wurden sie von der sachsen-meiningischen Forstverwaltung, später vom Rennsteigverein übernommen und zur Markierung des Rennsteigverlaufs auf seiner Gesamtlänge verwendet.
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Der Rennsteig in der Gegenwart
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Die politische Entwicklung nach 1945 mit der Teilung Deutschlands hatte schwerwiegende Folgen für den weithin bekannten Wanderweg in Mitteldeutschland. Die Einteilung in Besatzungszonen und die nachfolgenden territorialstaatlichen Veränderungen bewirkten, dass nunmehr scheinbar unüberwindbare Grenzen den Rennsteig an Stellen abriegelten, wo er die neue Staatsgrenze berührte.
Das bedeutete einen tiefen Einschnitt in der Geschichte des Rennsteigs und des Rennsteigvereins. Für fast ein halbes Jahrhundert blieb die große „Runst“ von Hörschel an der Werra bis Blankenstein an der Saale ein unerreichbares Ziel aller Rennsteigfreunde. Im thüringischen Kerngebiet waren seitdem nur noch rund 120 Kilometer (von Clausberg westlich von Eisenach bis Ernstthal und noch ein kleines Stück bei Wurzbach) als Wanderstrecke begehbar.
Obwohl die deutsche Grenzziehung eine Einschränkung im Hinblick auf die Einhaltung und Nutzung der Gesamtstrecke des Rennsteigs bedeutete, erlosch das Interesse an seiner Geschichte nicht. Die Forschung folgte der traditionellen Überlieferung vom Gesamtverlauf des Weges von Hessen nach Thüringen und Franken.
In Thüringen blieb der Rennsteig der historische Wanderweg über den Kamm des Thüringer Waldes und des Schiefergebirges. Das 1968 beschlossene Programm zur Erhaltung des Rennsteigs und zur weiteren Entwicklung des Fremdenverkehrs im Rennsteiggebiet erschloss den alten Kammweg und seine Umgebung für Ferienerholung, Touristik, Sport und Kultur. Dazu gehört auch der seit 1973 ausgetragene Guths-Muths-Rennsteiglauf, der sich mit zum größten Crosslauf in Europa entwickelt hat. Bei Oberhof entstand der Rennsteiggarten mit einer beachtlichen Baum- und Pflanzenwelt aus den Gebirgsregionen.
Die politische Entwicklung seit Herbst 1989 mit der deutschen Vereinigung im folgenden Jahr hat dem Rennsteig als der ältesten und größten zusammenhängenden Wanderroute im mittleren Deutschland neue Freunde zugeführt. Die erste grenzüberschreitende Rennsteigwanderung fand am 8. April 1990 statt und führte von Blankenstein an der Saale über bayerisches Gebiet bis Spechtsbrunn im thüringischen Kreis Sonneberg.
Am 28. April 1990 öffneten sich dann die Grenzübergänge zwischen Thüringen und Bayern für die feierliche Wiedereröffnung des Rennsteigs mit einer Wanderung von Brennersgrün im thüringischen Kreis Lobenstein über Steinbach am Wald im fränkischen Kreis Kronach bis nach Spechtsbrunn, wobei zweimal die deutsch-deutsche Grenze überschritten wurde. Seit der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 ist der Rennsteig wieder grenzenlos und über 168 Kilometer von Hörschel an der Werra bis Blankenstein an der Saale zu begehen.
Die Markierung mit dem traditionellen R, dem sogenannten „Mareile“, ist durchgehend vorhanden und wird ständig erneuert. Wo zwischen der „Hohen Sonne“ bei Eisenach und Neuhaus am Rennweg der Internationale Bergwanderweg „Eisenach – Budapest“ auf dem Rennsteig verläuft, ist er zusätzlich noch mit den blauen Wegemarken dieses Fernwanderweges gekennzeichnet.
Mit seiner mehr als hundertjährigen Vereinstradition ist der Rennsteigverein 1896 e.V. lange Zeit der Mittelpunkt von Forschung, Erhaltung und touristischer Nutzung gewesen. Bis 1945 in Thüringen beheimatet, wich er nach Kriegsende nach Zapfendorf in Oberfranken aus, da ihm wie anderen bürgerlichen Vereinen in der SBZ und der DDR aus ideologischen Gründen die Betätigung in seinem eigentlichen Wirkungsgebiet untersagt war.
Seit der deutschen Vereinigung hat er wieder eine gesamtdeutsche Mitgliedschaft. Die Vereinszeitschrift „Das Mareile“ wird seit 1994 wie früher in Ruhla herausgegeben. Daneben engagieren sich besonders der in Neustadt am Rennsteig beheimatete Thüringer Rennsteigverein e.V., der auch ein Rennsteig-Museum eingerichtet hat, und der Verein für Schmalkaldische Geschichte und Landeskunde e.V. für die Erhaltung des alten Höhenweges, der seit 27. April 1998 als „Plänckner’scher Rennsteig (Thüringer Rennsteig)“ unter Denkmalschutz des Freistaates Thüringen steht.
Zu den denkmalschützenden Aktivitäten der Rennsteigfreunde gehören die Erforschung und Festlegung des Wegeverlaufs ebenso wie die Erfassung und der Schutz der Boden- und Flurdenkmale des Rennsteigs, darunter die zahlreichen Grenzsteine. Ihr Arbeitsfeld ist der Rennsteig zwischen Hörschel an der Werra und Blankenstein an der Saale.
Im Thüringer Wald hat der Rennsteig seinen Ursprung, hier sind seine Traditionen lebendig, in diesem Umkreis liegen seine Gegenwarts- und Zukunftsaufgaben.
Prof. Dr. Volker Wahl (Weimar)
Weitere Informationen zu u.a. Geschichte, Verlauf, Etappen, Sehenswertem entlang des Rennsteigs finden Sie auch unterwww.thueringer-wald.com
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