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Wilde Sau
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Das Steinkreuz „Wilde Sau“ ist ein auf einer Anhöhe oberhalb des eigentlichen Rennsteigs errichtetes steinernes Gedenkkreuz mit der Abbildung eines auf einer Sau reitenden Jägers, den ein Jagdgefährte durch vorgehaltenen Speer anscheinend aus seiner unbehaglichen Lage zu befreien versucht.
Dieser in Luthers Geburtsjahr (1483) gesetzte Stein ist der älteste datierte am Rennsteig.
In Eisenacher Forstakten von 1557 findet sich erstmals ein Forstort „Sew Creutz“ als Flurname. In seiner Chronik von 1720 vermeldet J.M. Koch für das Jahr 1483, dass „ ... ein weimarischer Bedienter ... bey Eisenach auf dem Wald auf der Jagd mit einem fangspieß erstochen ward von s. diener ...“ Die auf der Schauseite des noch 1,56 m hoch aus dem Boden ragenden Steines dargestellte Szene wäre demnach wie folgt zu deuten:
Zwei Männer befinden sich auf der Wildschweinjagd. Der eine Mann (Balthaßer Rodechr) wird vom Schwein unterlaufen und kommt auf ihm zu sitzen. In diesem Moment versucht der zweite Mann, das Schwein mit seinem Spieß zu töten, doch er verletzt seinen Jagdkameraden tödlich.
An dieser Stelle muss daran erinnert werden, dass die Jagd auf Wildschweine – die sogenannte „Hohe Jagd“ – ein Vorrecht und Privileg des Hochadels war, zudem gehörte der Wald- und Jagdbezirk zum landgräflichen, später herzoglichen Forst (der Wartburg). War der Täter ein Adeliger aus dem Umfeld des Herzogshauses? Sollte das peinliche Vorkommnis vertuscht werden?
Auch diese Ausdeutung klingt plausibel:
Ein Mann ertappt seine Ehefrau beim Ehebruch. Er tötet den Liebhaber. Der Steinmetz stellt dies durch einen „reitenden Mann“ auf einer „Sau“ dar. Die dargestellte Szene sollte das Eifersuchtsdrama symbolisch umschreiben.
Nach den mittelalterlichen Rechtsvorschriften musste derjenige, der unabsichtlich einen Menschen getötet hatte, diesem ein Sühnekreuz setzen. Auch die Kirche beschäftigte sich mit dem Sühneproblem. Nach damaliger Glaubensvorstellung konnte die Seele des Verstorbenen keinen Eingang im Himmel finden, wenn er nicht mit den Sterbesakramenten versehen war. Um einem plötzlich zu Tode gekommenem Menschen diese Chance zu öffnen, musste ihm ein Gedenkkreuz gesetzt werden. Dies musste nicht unmittelbar am Tatort geschehen, oft wurde hierzu ein in der Nähe gelegener vielbegangener Weg ausgewählt. Die Vorübergehenden wurden dazu aufgefordert, für das Seelenheil des Verstorbenen zu beten. Oft wurden dem Täter auch noch die Teilnahme an Wallfahrten oder Geldbußen auferlegt. Diese Maßnahmen bildeten in der Summe einen erheblichen finanziellen und zeitlichen Aufwand; für die Betroffenen stellten sie eine erhebliche Strafe dar.
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Steinkreuz Wilde Sau
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Wartburgblick
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Rennertaufe an der Wilden Sau
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Durch eine Lücke im Blätterdach bietet sich rechts vom Steinkreuz ein wunderschöner Blick zur nahe gelegenen Wartburg, zu der ein beschilderter Wanderweg führt...
Immer wenn ein Jahr mit gerader Jahreszahl ist, kann man mit etwas Glück als Zuschauer dabei sein, wenn bei der in Richtung Hörschel an der Werra vorbei ziehenden Runst des Rennsteigvereins die Jungrenner nach fast sechs Tagen anstrengender Wanderung zu Altrennern erhoben werden.
Der Wanderführer heißt den Jungrenner vor dem Steinkreuz niederknien und den Stein mit der rechten Hand berühren. Während er seine Schulter mit dem Wanderwimpel berührt, verkündet er ihm seinen Rennernamen, mit dem er fortan in Rennerkreisen angeredet werden darf; der frischgebackene Altrenner darf sich sodann erheben.
Schöner als zuzuschauen ist jedoch, selbst an der Rennertaufe teilzunehmen. Wer Interesse hat, möge sich mit unseren Runstratschlägen befassen...
Ullrich Göbel
Quellen:
- Ludwig Hertel / Johannes Bühring, Der Rennsteig des Thüringer Waldes, 3. Auflage, Verlag des Rennsteigvereins, Zeitz 1930
- Johannes Bühring, Des Rennsteigs steinerne Chronik, Verlag des Rennsteigvereins, Zeitz 1929
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